Kinder sollen in eine Kultur der Offenheit und Akzeptanz hineinwachsen

Kinder einer muslimischen Kita besuchen eine Kirche

Weshalb die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Heidi Keller die Drei-Religionen-Kita für ein vielversprechendes Projekt hält

Damit Vorurteile gar nicht erst entstehen, brauchen Kinder Wissen und noch besser, persönliche Erfahrungen von früh an. Wo unterschiedliche Menschen sich kennenlernen, wo sie ihre Lebensgestaltung als selbstverständlich erleben, ja, miteinander befreundet sind, da können Vorurteile und Stereotypen gar nicht erst greifen, selbst dann, wenn der Zeitgeist und Populismus dazu einladen.


Der bekannte US-amerikanische Sozialpsychologe Gordon Allport hat schon 1954 die sogenannte Kontakthypothese aufgestellt, die genau das besagt: häufiger Kontakt zu Mitgliedern anderer Gruppen, auch solchen, gegen die man Vorurteile hatte, reduziert diese Vorurteile.

Diese immer wieder bestätigte Hypothese wird gern im Zusammenhang mit der Herstellung einer Willkommenskultur diskutiert. Aber Situationen herzustellen, in denen sich Menschen, die verschiedenen Gruppen angehören, unbefangen kennen lernen können, scheint im alltäglichen Leben gar nicht so einfach zu sein.

Deshalb ist es wichtig, dass bereits Kinder in eine solche Kultur der Offenheit und Akzeptanz hineinwachsen. Kinder lernen in und aus ihrer Umwelt. Vielfältige Umwelten bieten vielfältige Anregungen und Lernmöglichkeiten. Kinder sind
von Natur aus neugierig und interessieren sich insbesondere für andere Kinder, wie leben sie, was machen sie, wie sieht es bei ihnen zuhause aus? Wie sind die Eltern, haben sie Geschwister, wo wohnen Omas und Opas? Die Kita ist ein Lern- und Bildungsort, an dem Kinder vielfältige Gelegenheiten haben, andere Kinder und deren Lebenswelten kennen zu lernen. Das sollte aber nicht dem Zufall überlassen werden. Kitas haben viele Möglichkeiten, soziale Prozesse zu steuern und pädagogisch zu begleiten.

Die Einrichtung einer Drei-Religionen-Kita ist hier ein vielversprechender Ansatz. Kinder haben die Möglichkeiten, verschiedene Religionen in ihrer Lebenswelt kennen zu lernen und Kontakt zu Kindern und Familien aufzubauen, die unterschiedliche Religionen leben.
So wird Unterschiedliches vertraut und alltäglich. Und so wird Wissen generiert. Menschen, die mehr wissen, sind weniger anfällig für Vorurteile. Kinder, die mit Kindern aus anderen Kulturen und Religionen aufwachsen und deren Normalität im Alltag erfahren, lernen Toleranz und Akzeptanz. Menschen sind in verschiedener Hinsicht gleich, aber auch in vielerlei Hinsicht verschieden. Durch den selbstverständlichen Alltag in multikulturellen und multireligiösen Kitas kann Verschiedenheit wirklich zur Ressource werden und den Grundstein für eine friedliche
Gemeinschaft legen.

Prof. Dr. Heidi Keller ist Professorin i.R. an der Universität Osnabrück und Direktorin von Nevet, the Greenhouse of Context-Informed Research and Training for Children in Need an der Hebrew University in Jerusalem. Ihre derzeitigen Arbeitsschwerpunkte bestehen in einer Reformulierung der Bindungstheorie unter Einbezug kultureller Entwicklungsmuster sowie in der Anwendung kulturellen Wissens auf Elementar – und Frühpädagogik.